Überlegungen am Rande der Sprachlichkeit

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[Mladen Stilinović @ Martin Janda, Wien]

Weiß – Überlegungen am Rande der Sprachlichkeit

Im Ausstellungskatalog zu Mladen Stilinovićs Ausstellung White Absence fand ich Interessantes zum Zusammenhang der Farbe weiß mit der Empfindung von Schmerz, über die Unübersetzbarkeit von Schmerz, über die Grenzen des Mitteilbaren. (Text von Branka Stipancic, Übersetzung ins Englische von Maja Soljan, deutsche Übersetzung von mir.)

 

Angelehnt an die Zeilen des spanischen Dichters Jorge Guilléne:

                                                          Sucht die Welt eine weiße, 
                                                          absolute, dauerhafte Abwesenheit?

Mladen Stilinović nannte seinen Werkzyklus Weiße Abwesenheit. Was ist die Farbe des Schmerzes, fragte sich der Künstler im vom Krieg zerrütteten Kroatien der frühen 1990er Jahre. “Weiß ist die Farbe der Stille, sehr intim und Schmerz ist eine intime Erfahrung”, sagt der Künstler und verwendet Weiß in seinen mehrere Konzepte umspannenden Bildern und Objekten; Stille, Leere, Abwesenheit, Schmerz, Armut und das Absurde…
Eingestreut in seine Arbeiten sind Verse von Paul Celan und Osip Mandelstam, Gedanken von Emil Cioran und Marcel Duchamp, die sich mit Schmerz, Sorge, Benennung und Tod beschäftigen (…). Die Arbeiten sind fragil, schnell eine gelbliche, gräuliche Patina annehmend, in Zeit eingeweichtes Weiß. (…) Die weißen Flächen zwischen den Arbeiten lassen Intervalle entstehen, eine Leere, die so eloquent ist wie die Arbeiten selbst. Weiße Objekte die sich auf weißer Wand verlieren, dematerialisiert von der Einfärbigkeit, erfordern erhöhte Konzentration um eine Verbindung herzustellen.
 
Diese Arbeiten entstanden während des Krieges in Kroatien in einer für alle quälenden Situation, als Antwort auf die durch die politischen Faktoren verunmöglichte Kommunikation. Die Arbeiten sind in sich gekehrt, auf das individuelle Erleben gerichtet und Machtlosigkeit reflektierend. Stilinović hat immer mit Sprache gearbeitet, insbesondere mit der direkten Auswirkung der Sprache der Politik auf die Alltagssprache. Durch Manipulation der Sprache der Politik und der Symbole des Kommunismus schuf er eine subtil provokative, subversive und zynische Gesellschaftskritik. Weiße Bilder enthalten nichts per se Subversives; sie sind poetisch und – weit entfernt davon politisch zu sein – sprechen sie über das, worüber wir nicht sprechen können. Und “wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen”. Das Schweigen hat demnach die Erzählung überwältigt. In seinen Philosophischen Untersuchungen sagte Wittgenstein: “Den Begriff ‘Schmerz’ hast du mit der  Sprache gelernt”. Über den Begriff des Schmerzes kann gesprochen werden, aber er kann nicht übermittelt werden. Sprache steht über jeder Kommunikation, wir verwenden eine Sprache der Konventionen, aber das Bedürfnis etwas Persönliches auszudrücken führt oftmals zu Mißverständnissen. Der Zusammenstoß von individueller und konventioneller Sprache kann ein schmerzhafter sein. So lernt Stilinović, wie Handkes Kaspar indem er wiederholt: Alphabet ist Schmerz, Absurdität ist Schmerz, Algebra ist Schmerz…

Was hat Farbe mit Sprache zu tun? Was hat Sprache mit Schmerz zu tun? Was ist Weiß für dich?

Am interessantesten finde ich den Gedanken, dass wir eine konventionelle Sprache verwenden, die daran scheitert, persönliches Empfinden mitzuteilen. Es gibt also in der konventionellen Sprache einen Begriff für Schmerz; wir alle verstehen die Bedeutung des Wortes Schmerz. Aber ich weiß nicht, wie sich dein Schmerz anfühlt. Ich weiß nicht, welche Farbe er hat. Die Kunsttherapie ist für mich deshalb so beglückend, weil sie sich der individuellen Sprache annähert, indem sie sich im Übersetzen übt, von individueller Sprache in konventionelle Sprache – genauer würde ich sogar sagen, es geht nicht um die Übersetzung in konventionelle Sprache, es geht um das gemeinsame Finden einer Sprache im Zwischenraum (zwischen Klient und Therapeut) anhand der in den Zwischenraum einfließenden Gestaltung, die Gestaltung ist quasi der Stein von Rosette.

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