Schönheit – eine Annäherung, eine Gestaltung

with Ein Kommentar

Teil VI des Freitags-Mini-Seminars:

 

Zum Finden in der Natur (idealerweise mit See) und zum Malen:

Such dir ein Detail in der Umgebung, das dich gerade anspricht, das irgendwie mit deinem momentanen Seelenzustand korrespondiert – das kann ein Raum sein, oder die Kreise, die die Regentropfen im Wasser machen, der Nebel der aufsteigt, oder eine Nacktschnecke, oder die Linie, wo im Wasser der Schatten des gegenüberliegenden Ufers aufhört und der See eine andere Farbe hat, oder die Bauchfalten einer Frau im Sitzen.
Nimm dieses Detail als Ausgangspunkt für eine Gestaltung und schau, wohin es dich führt.

Zum Finden um dich (falls keine Natur zur Stelle) und zum Malen:

Such dir ein Detail in der Umgebung, das dich gerade anspricht, das irgendwie mit deinem momentanen Seelenzustand korrespondiert – eine abbröckelnde Hausmauer, der Gesichtsausdruck eines Schlafenden in der U-bahn, die Farben einer vorübergehenden Frau, das Glänzen deiner frisch lackierten Zehennägel, das zufällige, aus dem Chaos sich ergebende Stillleben aus Kaffeetasse, Notizzetteln und Farben auf deinem Schreibtisch, …
Nimm dieses Detail als Ausgangspunkt für eine Gestaltung und schau, wohin es dich führt.
Dann erst lies weiter.

Schönheit – eine Annäherung

Woran grenzt dein Begriff von Schönheit an? An Wildheit? An Freiheit? An Brutalität, an Grausamkeit, an Weite, an Kraft, an Ruhe, an Häßlichkeit, an Verletzlichkeit, an Auflösung? Die Ränder der Schönheit – sie sind interessant; dort, wo es gerade noch oder nicht mehr schön ist; am schönsten dort, wo es fast schon häßlich ist; so schön, dass es schon kitschig ist; zu niedlich – Schönheit braucht also eine Brise Wildheit, Brutalität, Häßlichkeit. Bewegtheit? Braucht Schönheit Bewegtheit? Manches ist in der Starre schön (manch optimiertes Hollywoodgesicht), doch im Lächeln, im Lachen wird diese Schönheit zur Fratze. Manch einer fühlt sich schrecklich unfotogen – seine Schönheit braucht Bewegung, braucht Reden, Lachen, Augensprühen, wehendes Haar, Gestikulieren um sichtbar zu werden. Wieviel Natürlichkeit braucht Schönheit, wieviel Künstlichkeit? Wieviel Unmittelbarkeit, wieviel Emotionalität? Es ist mit dem Begriff der Schönheit wie mit jedem Begriff, den man tiefer untersucht: Er wird abstrakt. Die Grenzen durchlässig. Er verschwindet, wird ungreifbar, nur durch Abgrenzung von dem, was eben nicht schön ist wieder gehalten, habhaft.
Sicher scheint zu sein: Schönheit ist etwas Momentanes, Vergängliches, im Moment Fühlbares, nichts Festhaltbares.
Es geht bei der Gestaltung zum Thema Schönheit um eine Annäherung. Was bedeutet dieser Begriff für dich? Wie wahrhaftig ist Schönheit? Wie hemmend, immer schön sein zu müssen. Wie beengend, die Grenzen (dessen, was schön sein bedeutet) zu eng für sich zu stecken. In unserem Seminar und in dieser Gestaltung ist Schönheit der Ausgangspunkt einer Reise, einer Annäherung an das, was sich für dich in diesem Moment wahrhaftig anfühlt, den perfekten “Sättigungsgrad” zwischen Innen und Außen, zwischen Innenwelt und Außenwelt wiederherzustellen – das ist Schönheit: Wieder in Harmonie zu sein.
Oder: Ein wilder Tanz, ein rotes Gesicht, Tränen – hier ist Leidenschaft, Emotionalität das, was Schönheit sichtbar macht.
In ihrer Serie “Models/Rejects” hat die Künstlerin Marlene Dumas Schönheitsideale verschiedener Epochen als Ausgangspunkt für ihre Portraits genommen. Die diesen nicht entsprechenden, nicht “gelungenen” Bilder, hat sie nicht etwa weggeschmissen sondern “Rejects” genannt, “Zurückgewiesene, Abgelehnte” und neben den “Models” ausgestellt.

Schönheit und Häßlichkeit in der Kunst und in der Kunsttherapie

 
Im Vorwort zu Marlene Dumas’ Ausstellungskatalog “Female” fragt sich der Herausgeber Matthias Winzen: “Finde ich ‘Female Nr. 65’ eigentlich sehr hübsch oder sehr häßlich?”
[Marlene Dumas: Female Nr. 65 aus dem Buch anläßlich der Ausstellung “Marlene Dumas Female”, Herausgegeben von Matthias Winzen, Snoeck Verlag, 2005]

 

 

Ich jedoch fand besagtes Bild eines der Faszinierendsten und Berührendsten auch dieser Portraitserie – was natürlich kein Widerspruch zu Winzens Frages ist. Das Faszinierende an diesem Bild für mich ist, dass es an so vielen Grenzen entlangschrammt: Ist es schön, ist es häßlich? Ist es ein “verpfuschtes” Bild? Hab ich es gerade noch “gerettet”? (Aus der Perspektive der Künstlerin gefragt.) Haben diese “Rettungsversuche” gerade genügend tief geschürft um den erwünschten Ausdruck, die erwünschte Emotion ans Tageslicht zu bringen, aber nicht zu tief um das Bild zu zerstören? Ist die Ausgewogenheit zwischen Kampf und Unmittelbarkeit, Leichtigkeit im Bild noch gegeben, um es zu einem “gültigen” Bild zu machen?
Ist es also ein “Reject” oder darf es “leben bleiben”? Nicht die Schönheit oder Häßlichkeit entscheidet über das Bestehen eines entstandenen Bildes in der Kunst  – sondern die Authentizität. Hat es Autorität in dem, was es sagt? Und auch, wenn ich noch nicht weiß, was es sagt – sind die Fragen, die es aufwirft faszinierend?
Das heißt, in der Kunst geht es um Gültigkeit, um bestmögliche Ausformulierung des zu Sagenden bzw Fragenden in der jeweiligen Sprache (= Medium) des Künstlers. “Ohne Klarheit in der Sprache ist der Mensch nur ein Gartenzwerg” [Element of Crime: “Alle vier Minuten“]
Das sind Fragen, die in der Kunst gestellt werden. In der Kunsttherapie darf die Gestaltung “häßlich” im Sinne von unfertig sein und trotzdem leben – denn vielleicht ist diese “Häßlichkeit” der absolut stimmige Ausdruck des momentanen inneren Vorgangs. Es darf ein Suchen sein, es muss noch nicht ein Gefundenes darstellen. Ein Suchen, ein Zweifeln, ein Verzweifeln. In der Kunsttherapie werden auch Transformationsprozesse sichtbar – im Moment des Transformierens ist man nicht schön, sondern sehr verletzlich, unsicher, roh, ungestaltet; “Es” (das Neue, der neue Zustand, das neue Lebensgefühl, die neue Erkenntnis) noch nicht ausgeformt, noch nicht ausformuliert. Das vielstrapazierte Bild von Schmetterling und Raupe dazu in einem erfrischend neuem Zugang: Wenn Sohn Ryan ihr seine Angst vor Veränderung gesteht, kontert Mia (die transsexuelle Hauptfigur der TV-Serie “Hit & Miss”): “Wenn sich nichts ändern würde, gäb’s keine Schmetterlinge.” [Artikel in der Online Zeit “Blut ist dicker als Patronen” vom 17. Juni 2014 von Sarah Zimmermann.]
 
 

Eine Antwort

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